Leseprobe „Der Sommer ist vorbei“

Weiß nicht, wie ich her kam. Richtung Nacht gefahren. Vielleicht bin ich da. Ein ewiger Rasen im Dunkel. Nur das blaue Licht am Armaturenbrett. Nach vorne ins Schwarz schauen und nicht wissen, ob sie noch in der Stadt ist.

Vorhin im Flur, es kam kalte Luft durchs Fenster, hat sie flach geatmet. Und ich, ich habe gar nicht geatmet. „Ich weiß nichts mehr“, hat sie gesagt und „Was bleibt denn?“. Sie hat mich nicht angesehen. Vielleicht waren da Tränen. Sie ist noch nie so weit weg gewesen, seit sie da ist. Ich weiß nicht mehr, ob ich ihr geantwortet habe. Ich wollte ihre Augen sehen. Dann habe ich die Tür geöffnet, aber ich weiß nicht, ob sie gegangen ist oder ich.

Und jetzt: Bilder, die im Dunkeln vor mir aufleuchten, Sekunden nur:

Dass eine Blonde hell im Schwarz dort tanzen würde, dass es silbern regnen würde, dass niemand fahren würde, alles gleitet.

Vielleicht hat sie so etwas schon mal gesagt. Vielleicht habe ich nicht zugehört. Ich liebe ihre Stimme. Und jetzt, vielleicht ist sie nur müde. Sie war blass in den letzten Tagen. Sie ist zu viel im Labor. Sie macht sich Sorgen wegen der Bilder. Sie sagt ohne das eine, das Berg-Bild kann die Ausstellung nichts werden. Sie braucht die Fotos.

Kann die Augen nicht mehr schließen, will nicht aufhören hier zu sehen. Mein Blick wird ins Dunkel gezogen:

Dass ein Pferd in der Nacht stünde, dass ich der Reiter wäre, dass die Wiese kein Ende hätte und ich der wäre, der sie wachsen sieht.

Als ich ihr das Buch gegeben habe, das Buch von den Bergen, hat sie gelacht. Sie weiß, wie ich sie kenne, nur ich. Sie will nach oben, in diese kalte Luft. Ich muss nicht weg von hier. Aber sie hat es sich gewünscht. Und ich habe das kleine Hotel gefunden. Sie kann nicht alleine fahren, nicht ohne mich. „Wir müssen den Schnee sehen“, hat sie gesagt.

Und dann ist der Brief aus der Schweiz gekommen. Ich wollte ihr unser Zimmer zeigen im Prospekt. Aber als ich nach oben gekommen bin, ist sie im Bad gewesen. Die Tür war einen Spalt geöffnet und ich habe sie gesehen. Sie hat sich die Achseln rasiert. Sonst hat sie immer abgesperrt. Ich habe dann von der Küche aus gerufen. Als sie fertig war, hatte sie keine Zeit mehr.

Vorhin, ich weiß noch, dass ich den Autoschlüssel gesucht habe. Sie hat mich nicht aufgehalten. Ich weiß nicht, wer zuerst an der Tür war.

Gestern vor dem Einschlafen hat sie gesagt „Was träumst Du heute nacht? Wir könnten uns treffen!“ Oder ich habe es gesagt oder die Worte waren nur in meinem Kopf.

Manchmal hat sie im Schlaf gesprochen. Und ich konnte es verstehen, aber ich habe gewußt, dass das Gesagte nicht für mich war. Ich wollte kein Spion sein in ihrem Land. Der Traum gehört jedem allein. 

Sie ist nachts in den Laken verschwunden, wie eine Wüstenschlange im Sand. Morgens musste ich sie suchen. Ich habe nur die blonden Haarspitzen gesehen. Sonst war alles von ihr in der Decke vergraben. Dann ist sie lachend aufgewacht, weil ich ihr in die Haare gepustet habe.

Sie hat mal gesagt, dass jeder seine eigene Heimat ist. Ich weiß nicht mal, woher sie kommt.

War eben noch dicht an ihr, habe sie gerochen. Sie riecht wie ein Kind. Wo ist sie?

Alles wird sichtbar im Schwarz:

Dass das Pferd sich vorbei schöbe, nicht trabte, dass auch der Reiter nicht ritt, dass etwas im Gras säße, das ich nicht kenne.

Am Anfang ist sie oft bei uns im Laden gewesen, hat sich alle Platten angehört. Die Kopfhörer waren viel zu groß für ihren kleinen Kopf. Dann hat sie nach Patsy Cline gefragt und ich habe das erste Mal gewollt, dass sie bleibt.

Als ich den Schlüssel gesucht habe, hat sie gesagt, es sei zu spät. Wir haben davor über das Abendessen geredet oder ich habe über das Abendessen geredet oder sie wollte nicht mehr in die Berge fahren.

Wie lange ist es schon Nacht? Könnte mir sagen, es sei Vollmond. Woher ist das Licht blau? Sehe ich alles allein?

Wir waren am Elbstrand. Sie hat eine riesige Tasche dabei gehabt, als würden wir zwei Wochen bleiben. Sie hat auf ihrem Handtuch gesessen und Zeitung gelesen und Kekse gegessen und in ein Buch geschrieben und fotografiert.

Und dann ist sie zum Kiosk gegangen und lange nicht wieder gekommen. Es wurde schon dunkel, als wir gingen. Sie konnte nicht still sitzen.

Ich bin statisch, hier in der Nacht, ein starres Objekt wie der Wagen und nur das Vorne echt.

Dass der Himmel schläft, dass nur ich sehe, dass irgendetwas da wartet, vorne.

(…)

Erzählung – erschienen in „Landpartie 05“, Anthologie des Studiengangs Kreatives Schreiben & Kulturjournalismus, Universität Hildesheim